Bedeutende Entdeckungen im Heiligtum der Artemis in Amarynthos
Die diesjährige Grabungskampagne der Schweizerischen Archäologischen Schule in Griechenland (ESAG) im Heiligtum der Artemis Amarysia, das sich im Gebiet des antiken Eretrias befindet, ist soeben abgeschlossen worden. Spektakuläre Funde haben die tägliche Arbeit während der sechs Wochen geprägt. Zwei zeitlich aufeinanderfolgende Tempel und ein reiches Votivdepot konnten freigelegt werden.
Die Schweizer ArchäologInnen und ihre griechischen KollegInnen graben seit fünfzehn Jahren im Heiligtum der Göttin Artemis Amarysia in Amarynthos, einem kleinen Ort im Gebiet von Eretria auf der Insel Euböa. Die Grabungsarbeiten werden unter der Co-Direktion von Prof. Sylvian Fachard (ESAG / Universität Lausanne) und Dr. Angeliki Simosi, der Vorsteherin des lokalen Antikendienstes, durchgeführt. Während mehr als hundert Jahren hatten ArchäologInnen vergeblich versucht das Artemision, die bedeutendste Kultstätte der Insel Euböa, zu lokalisieren. Nun haben die WissenschaftlerInnen dort einen Tempel entdeckt, der über mehrere Jahrhunderte benutzt und erneuert wurde. Der erste Tempel, errichtet um 650 vor Christus, scheint gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. zerstört worden zu sein. Kurz danach, um rund 500 v. Chr., wurde auf seinen Ruinen ein zweiter Tempel gebaut, grösser als sein Vorgänger. Vor dem Wiederaufbau wurden mehr als 600 Weihgaben niedergelegt. Die neuen Funde bestätigen die grosse Bedeutung der Kultstätte. Bei den geborgenen Weihgaben handelt es sich unter anderem um Ton- und Bronzegefässe, bemalte Tonfigurinen, Schmuckstücke aus Gold, Silber, Fayence, Glas und Halbedelsteinen sowie Siegel östlicher Inspiration in der Form von Skarabäen, aber auch um Waffen wie einen Helm und einen Schild.
Eine fünf Jahrtausende alte Fundstätte
Diverse Strukturen im Bereich des Heiligtums belegen eine sehr lange Nutzung der Fundstelle. Die ältesten bisher entdeckten Spuren datieren rund 3000 Jahre v. Chr. Heiligtümer sind sakrale Bereiche, die normalerweise aus einem Altar, einem Tempel (dem Haus der Gottheit) und verschiedenen weiteren Gebäuden bestehen und meist durch eine Mauer eingegrenzt waren. Das Heiligtum der Artemis Amarysia weicht nicht von dieser Regel ab. Zusätzlich zur während der letzten Jahre ausgegrabenen monumentalen Säulenhalle wurden auch zwei Altäre freigelegt, die mit den beiden zeitlich aufeinanderfolgenden Tempeln in Verbindung gebracht werden können. Auf ihnen verbrannten die PriesterInnen die Opfertiere für die Göttin. Durch die Darbringung dieser Opfer und der Stiftung der Weihgaben erhofften sich die EinwohnerInnen der Stadt Eretria die Gunst der Artemis zu gewinnen.
Artemis Amarysia in den antiken Schriftquellen
Das Heiligtum der Artemis Amarysia fand in zahlreichen antiken Texten Erwähnung. Darin liest man, dass dort die wichtigsten öffentlichen Dokumente (Dekrete, Verträge), graviert auf Stelen, ausgestellt wurden. Der Stadtstaat Eretria organisierte jährlich im Frühling ein grosses Fest zu Ehren der Artemis, die sogenannten «Artemisia». Im Rahmen dieser Festivitäten fand jeweils eine Prozession von 3000 Fusssoldaten, 600 Reitern und 60 Streitwagen vom zwölf Kilometer entfernten Eretria bis zum Heiligtum statt. Das Fest zog nicht nur die EinwohnerInnen der Insel Euböa, sondern auch anderer grosser Städte Griechenlands an.
Ausgrabungen mit modernster Technologie
Die grosse Mehrheit der griechischen Heiligtümer wurde im 19. und 20. Jahrhundert mit den damals üblichen Methoden ausgegraben. Insofern ist das Artemision von Amarynthos ein Ausnahmefall, da die grossflächige Grabung nun mit modernsten Mitteln durchgeführt wird. So bietet das Projekt eine einzigartige Gelegenheit, die Entwicklung eines extra-urbanen Heiligtums in Griechenland zu untersuchen. Von den bis 2025 geplanten und vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF), dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) und privaten Stiftungen finanzierten Forschungskampagnen sind wichtige neue Daten zu erwarten, die in Kombination mit den bisherigen Forschungsergebnissen neue Perspektiven zur Erforschung der Entstehung eines sakralen Bereichs einer griechischen Stadt eröffnen.
Pressemitteilung vom griechischen Ministerium für Kultur und Sport RTS Tagesschau (12/08/2021)
Kontakt
Sylvian Fachard
Professor für Klassische Archäologie
Direktor der Schweizerischen Archäologischen Schule in Griechenland (ESAG)
Institut für Archäologie und Altertumswissenschaften (IASA)
Universität Lausanne
Schweiz
+41 079 342 45 86
sylvian.fachard@unil.ch