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Dienstag 27 September 2022

Neue Entdeckungen im Heiligtum der Artemis

Die Ausgrabungskampagne 2022 im Heiligtum der Artemis Amarysia auf der Insel Euböa in Griechenland wurde soeben abgeschlossen und führte zu wichtigen Entdeckungen. Ein Team von mehr als 70 ArchäologInnen, KonservatorInnen, Studierenden und Arbeitern der Schweizerischen Archäologischen Schule in Griechenland (ESAG) und des Griechischen Archäologischen Dienstes war an den Arbeiten beteiligt. In einem Opferdepot im Inneren des archaischen Tempels wurden mehrere bemerkenswerte Funde entdeckt: Vasen, Schmuck, Figurinen, Schilde, Schwerter und eine aussergewöhnliche Steinstatuette, die eine weibliche Figur mit einer Hirschkuh oder einem Rehkitz darstellt.

ESAG Pressemitteilung (De/Fr/En)

Opfergaben an die Göttin

Nachdem in den letzten Jahren eine Reihe von Gebäuden aus der klassischen und hellenistischen Periode freigelegt wurden, zielt das Projekt nun darauf ab, die Entstehung des Heiligtums (geometrische und archaische Zeit sowie die prähistorische Besiedlung des Hügels neben dem Heiligtum) zu erforschen, d. h. die Ursprünge des Kults der Göttin Artemis und die Gründe für die Errichtung des Heiligtums an diesem Ort. Im Sommer 2022 führten die griechisch-schweizerischen Ausgrabungen im Artemis-Amarysia-Heiligtum zu bedeutenden Entdeckungen, insbesondere im Bereich der Tempel, wo mindestens zwei aufeinanderfolgende, sich überlagernde Gebäude untersucht wurden. Dort wurde ein grosser Opfergabenhort aus dem letzten Viertel des 6. Jh. freigelegt, der etwa 700 Artefakte enthielt. Dazu gehören Gefässe, Schmuck, Siegel in der Form eines Skarabäus, Tonfiguren und Bronzeschilde. Besonders hervorzuheben ist der aussergewöhnliche Fund einer Steinstatuette aus dem frühen 6. Jahrhundert, die eine weibliche Figur mit einer Hirschkuh oder einem Rehkitz in den Armen darstellt, dem Tier der Göttin Artemis. Die Statuette wurde im Tempel gefunden und stellte möglicherweise die Göttin selbst dar. Mehrere der gefundenen Gegenstände könnten während der Opferungen verwendet worden sein, bevor sie im Tempel deponiert wurden, wie die eisernen Doppeläxte, oder während religiöser Rituale, wie die bronzenen Phialen (Schalen).

Die ArchäologInnen setzten auch die Freilegung mehrerer älterer Strukturen fort, wie z. B. eines hufeisenförmigen Altars, der bereits in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. benutzt wurde.

„Diese Funde zeigen, dass der Kult mindestens bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht, eine Phase, zu der wahrscheinlich auch ein Gebäude gehört, das derzeit freigelegt wird und dessen Identifizierung im nächsten Jahr bestätigt werden muss. Bisher wissen wir, dass der erste archaische Tempel zwischen dem 7. und 6. Jahrhundert errichtet wurde. Nach seiner Zerstörung durch einen Brand wurde dort ein reiches Opfergabendepot, das in das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. datiert werden kann, angelegt und anschliessend ein neuer Tempel errichtet“, erklärt Tamara Saggini, Co-Leiterin der Grabung.

In den späteren Schichten wurden auch zwei Fragmente von Bronzestatuen entdeckt: lebensgrosse Zehen und ein Teil eines Kleidungsstücks.

Im Osten des Tempels wurden die Ausgrabungen bei einem monumentalen Gebäude aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. fortgesetzt, das sowohl als Begrenzung des Heiligtums als auch als Eingang diente. Unter den Fundamenten des Gebäudes wurden Überreste von Strukturen aus dem 8. Jh. und eine Mauer von beeindruckender Grösse, die wahrscheinlich aus der späten Bronzezeit (11. Jh. v. Chr.) stammt, entdeckt.

Siebenhundert Jahre Architektur am östlichen Rand des Heiligtums

Der Tempelbereich der Artemis Amarysia in Amarynthos

Auf dem Hügel

An den Hängen des Paleoekklisies-Hügels mit Blick auf das Heiligtum wurden zwei neue Sondierungsschnitte geöffnet, um die Erforschung der prähistorischen Phasen einer bereits vor Jahrzehnten identifizierten Siedlung zu vertiefen. Die in den Jahren 2021 und 2022 ausgegrabenen Bereiche bestätigen die Existenz einer bedeutenden Siedlung aus der frühen Bronzezeit (3. Jahrtausend v. Chr.). „Aufgrund der Funde aus dieser Zone wissen wir, dass die Bewohner der Siedlung Kontakte zu den Kykladen und anderen Teilen Griechenlands hatten“, sagt Tobias Krapf, Co-Leiter der Grabung. Die Schichten aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. und vor allem aus der mykenischen Periode scheinen jedoch nur sehr unvollständig erhalten zu sein, was vor allem auf die Erosion zurückzuführen ist. Während des Mittelalters entwickelte sich auf dem Hügel erneut eine Siedlung, die ebenfalls zur Zerstörung der früheren Überreste beitrug“, so der Archäologe.

Stützmauer und ein Gebäude aus dem Mittelalter, direkt auf Schichten der frühen Bronzezeit (3. Jahrtausend v. Chr.) errichtet.

Verständnis der Stätte und der antiken Landschaft

Die Ausgrabungen des Heiligtums sind auch mit einer intensiven Prospektion verbunden, die in der weiten Ebene zwischen Amarynthos und der antiken Stadt Eretria, von der das Heiligtum abhing, durchgeführt wird. Ziel dieser Forschungen ist es, die Lage des Heiligtums in der antiken Landschaft besser zu verstehen, indem die Veränderungen der Umwelt seit der Antike, die Verteilung der ländlichen Siedlungen über einen längeren Zeitraum, die Nekropolengebiete und das Kommunikationsnetz, insbesondere die „Heilige Strasse“, die das Artemision mit der Hauptstadt verband, untersucht werden.

Das Forschungsteam

An der Ausgrabung waren im Jahr 2022 über 70 ArchäologInnen, KonservatorInnen, SpezialistInnen, Studierende und Arbeiter aus der Schweiz, Griechenland und anderen Ländern beteiligt.

Das Forschungsprojekt in Amarynthos wird von Sylvian Fachard, Direktor der ESAG und ordentlicher Professor an der Universität Lausanne, und von Dr. Angeliki Simosi, Ephorin der Altertümer von Euböa, geleitet.

Die Feldarbeit wurde unter der gemeinsamen Leitung von Olga Kyriazi auf griechischer Seite und von Tobias Krapf und Tamara Saggini auf Schweizer Seite durchgeführt.